Euphemismus-Alarm beim "Finanzskandal" von Wirecard

Euphemismus-Alarm beim "Finanzskandal" von Wirecard

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"Finanzskandal" - so rahmen die meisten Medien (Spiegel, Süddeutsche, Handelsblatt, Zeit, u.v.a.) den Milliarden-Betrug von Wirecard. Aber: Wer bei Wirecard von einen „Skandal“ redet, der unterschlägt den Betrug, den Riesen-, den Milliarden-, den Wahnsinns-Betrug.

Framing der Tagesschau

“Skandal” kommt von griechisch skándalon (im Kirchenlatein scandalum) und bezeichnet ein Ärgernis, ein Geschehnis, das Aufsehen erregt. “Das ist ja ein aufsehenerregender Skandal”, “das ist ja skandalös”, “ein skandalöses Benehmen”, “das ist unerhört”! Skandal das bedeutet auch ‘Lärm’, Radau’

Die Wortwahl "Skandal" fokussiert das Aufsehen-Erregende

Die Wortwahl "Skandal" fokussiert das Aufsehen-Erregende. Das war ja auch echt unerhört von Wirecard, dass die jahrelang ihre Bilanzen gefälscht haben. Ein wirkliches Ärgernis, da gab es ganz schön Lärm und ziemlich viel Radau. Genauso wie bei den ganzen anderen Skandalen da draußen. Zum Beispiel als damals der Sängerin Janet Jackson auf der Bühne die Brust aus dem Kostüm rutschte (“Nipplegate”). Oder der Skandal als Marcel Reich Ranicki seine Wutrede anlässlich des Fernsehpreises hielt und selbigen ablehnte. Das war unerhört, da gab es ziemlichen Radau.

Skandale sind eher schrecklich unterhaltsam als ziemlich kriminell

Doch es gilt Gnade vor Recht. Natürlich darf der “Riesenbetrug” von Wirecard mitunter ebenso als “Skandal” bezeichnet werden. Es wird jedoch zum Problem, wenn quasi die gesamte Medienberichterstattung beim “Mega-Wirecard-Betrug” nur von einem “Wirecard-Skandal” spricht.
Denn durch die schiere Dominanz dieses Skandal-Framings, entgeht uns eine wichtige - und sogar die entscheidende - Bedeutungskomponente: Der Betrug. Das Kriminelle. Das eigentlich Böse an der Sache.
Umso schlimmer, dass sich “Wirecard-Skandal” als medialer Rahmungs-Begriff etabliert hat. Es gibt kaum eine Titelzeile, die ohne diesen auskommt.

Nun ließe sich einwenden: Medien sollten nicht vorverurteilen. Ob es sich um Betrug handelt oder nicht, das haben Gerichte zu entscheiden. Das - mit Verlaub - ist Quatsch und im besten Wortsinne vorauseilender Gehorsam. Gerichte werden entscheiden, wer für den Betrug zu verurteilen ist. Dass es sich um “Milliarden-Betrug” handelt, ist erwiesen.

Warum fällt es uns und unseren Medien in diesem Fall so schwer, zu sagen, was ist?

Kaum eine Titelzeile fokussiert die beispiellose und damit berichtenswerte Größe des Betrugs mit Begriffen wie “Riesen-Bilanzbetrug”, “Riesenbetrug”, “Milliardenbetrug”. Vielmehr klingen diese Wörter wie sensationsheischende Übertreibungen. Warum eigentlich? Dabei kommen sie alle der Wahrheit näher als das Wort “Skandal”.

Ein Betrug ist bereits ein Skandal. Ein Skandal jedoch noch lange kein Betrug. Warum also den Betrug weglassen, indem man auf ‘Skandal’ framed? Reicht das Wort “Betrug” nicht mehr aus, um Anstoß zu erwecken? Haben wir uns an den Betrug so sehr gewöhnt, dass er gar kein Skandal mehr ist?


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Wirecard - Finanzskandal oder Milliardenbetrug?

"Finanzskandal" - so rahmen die meisten Medien den Milliarden-BETRUG von #Wirecard. Warum das so ist und warum das nicht sein darf, zeige ich im Video. Euer Wortgucker 👀 Mehr Sprache in Politik & Medien unter www.wortgucker.de

Gepostet von Wortgucker am Dienstag, 13. Oktober 2020