Framing gegen Menschenfeindlichkeit - Anwendung in Gemeinwesen- und Politikberatung

Framing gegen Menschenfeindlichkeit - Anwendung in Gemeinwesen- und Politikberatung

Der Aufsatz erschien in dem Sammelband Sprach(kritik)kompetenz als Mittel demokratischer Willenbildung. Darin geht es um sprachliche In- und Exklusionsstrategien als gesellschaftliche Herausforderung. Der Band ist Teil der Reihe Greifswalder Beiträge zur Linguistik (Bd. 12) und wurde herausgegeben von Jürgen Schiewe, Thomas Niehr und Sandro M. Moraldo. Im Folgenden findet sich die Einleitung des Aufsatzes. Das Buch ist über den Bibliotheksverband ausleihbar oder kann man beim Verlag Ute Hempen erworben werden. ISBN 978-3-944312-72-9.

Einleitung

Dieser Beitrag zeigt, wie sich aus der Identifizierung bestimmter sprachlicher Muster erfolgreiche Strategien und Aktivitäten für die Arbeit einer Beratungsstelle gegen Fremdenfeindlichkeit ableiten lassen. Sprachkritikkompetenz wird insofern als die Fähigkeit verstanden, bestimmte sprachliche Muster sowohl zu erkennen als auch sie erfolgreich aufdecken und dekonstruieren zu können.

Um den linguistischen Zugang verständlich machen zu können, folgt eine ausführlichere Beschreibung der praktischen Herausforderungen vor Ort.

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald (VG) wird in den Medien häufig als „Hochburg“ rechter Strukturen in Deutschland bezeichnet. „Ostvorpommern gilt sogar europaweit als Ausdruck einer besonderen rechtsextremen Dominanz“ (Borstel/Luzar 2016, 46). Die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands) ist hier gut vernetzt. Rechte Kameradschaften gibt es im ganzen Landkreis. Dazu zählen die „Nationalen Sozialisten Pommern“, das Netzwerk „Freies Pommern“ in Ueckermünde, die „Freien Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten Greifswald“, die „Völkische Burschenschar Strasburg“, der „Kameradschaftsbund Anklam“, der „Kameradschaftsbund Bargischow“, die „Aryan Warriors“ Ueckermünde , die „Kameradschaft Borken“, die „Pommern Division“ und das „Nationale Bündnis Löcknitz“ (vgl. Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern 2016, 43). In der Region unterhält die NDP Grundstücke, auf denen nicht nur Konzerte und Zusammenkünfte stattfinden. So offeriert man vor Ort wie im sogenannten „Nationalen Begegnungszentrum (NBZ) Anklam“ Sozialberatungen und betreibt den ideologisch sortierten rechtsextremistischen Versandhandel „Pommerscher Buchdienst“ sowie eine „Volksbücherei“ (vgl. ebd., 27) Dass die NDP seit 2007 im Landtag saß, verdankt sie ziemlich eindeutig ihrem Wählerpotential aus Vorpommern. Bei den letzten Kreistagswahlen 2011 wählten 26.774 Bürgerinnen und Bürger die NPD, die damit auf ein Ergebnis von 9,0% kam (bei einer Wahlbeteiligung von 50,3 Prozent, vgl. Die Landeswahlleiterin Mecklenburg-Vorpommern 2011).

Aktionen der rechtsextremistischen Szene finden regelmäßig statt, z.B. der jährliche, sogenannte „Trauermarsch“ in Demmin am 8. Mai anlässlich des Jahrestags der deutschen Kapitulation 1945.* Regelmäßig veranstaltet man Kinderfeste, wie am 18. Juni 2016 in Ueckermünde (9. Kinderfest) (vgl. Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern 2016, 68).

Mit dem Antritt der AfD (Alternative für Deutschland) zur Landtagswahl 2016 schaffte es die NPD mit 3% nicht mehr in den Landtag. Die AfD stellt seitdem mit 20,8% der Wählerstimmen nach der SPD (30,6%) die zweitgrößte Fraktion, vor CDU (19%) und Linken (13,2%).

Besonders hohe Stimmanteile verzeichnete die AfD im Landkreis Vorpommern-Greifswald, wo sie drei der fünf Wahlkreise direkt gewann (VorpommernGreifswald 1 mit 27,6%, Vorpommern-Greifswald 3 (das ist die Insel Usedom) mit 32,4% sowie Vorpommern-Greifswald 5 mit 26,4% (vgl. Die Landeswahlleiterin Mecklenburg-Vorpommern).

Politikwissenschaftliche Studien attestierten der Region nicht mehr nur Probleme mit der Demokratie oder „Demokratiedefizite“ bzw. ein „Demokratievakuum“. Auf die Ursachen blickend sprechen Borstel/Luzar (2014) von Ostvorpommern als einer „sterbenden Region“. Der Ausdruck ist in seiner Drastik gewiss übertrieben, weil er der Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Menschen in Vorpommern widerspricht, also jenen Menschen, die gerade nicht NPD und AFD wählten und dort ganz normal leben, arbeiten und sich engagieren. Dennoch trifft der Ausdruck einen wahren Kern: zunehmender Verwaltungsrückbau durch sogenannte Kreisgebietsreformen,** die in den meisten Fällen Kreiszusammenlegungen waren, das Verschwinden wichtiger Institutionen wie Krankenhäuser und Schulen aus den kleinstädtischen Gegenden, die hohe Arbeitslosigkeit nach der Wende durch den Zusammenbruch einer ohnehin nicht üppigen Wirtschaft und Industrie, die teils bis heute anhält und zumindest dazu geführt hat,*** dass es eine bestimmte Generation von Menschen gibt, die sich seit der Wende nicht mehr gesellschaftlich fangen konnten und die auch heute sehr schwer zu erreichen sind. Es wäre aber falsch, das, was man als „Demokratiedefizit“ im Nordosten bezeichnet, nur als Kollateralschäden der deutschen Wiedervereinigung zu verstehen. Grundsätzlich lässt sich sagen: Die Lage ist komplex und die Ursachen sind auch geschichtlich bedingt. In vierzig Jahren DDR und in der Zeit davor wurde kaum etwas für das Demokratiebewusstsein von Bürgerinnen und Bürgern getan, denn es wurde wenig Wert auf unbequeme und sich für ihre eigenen Belange engagierende Bürger gelegt. Als agrarische Region zentralisierte sich die Macht traditionell und weit bis ins 20. Jahrhundert hin auf die sogenannten Junker, die als Landherren den Ton angaben.****
Im drittgrößten Landkreis Deutschlands sind die Herausforderungen an die politische Bildung besonders hoch. Im Folgenden geht es darum, wie das RAA Regionalzentrum Vorpommern-Greifwald (RZVG) mithilfe angewandter Linguistik ganz praktisch versucht, präventiv gegen fremdenfeindliche (rechtsextreme wie rechtspopulistische) Denk- und Sprachmuster tätig zu werden.//

Fußnoten

* „Angemeldet wurde die Veranstaltung mit ca. 200 Teilnehmern wieder von einem Mitglied des NPD-Landesvorstandes Mecklenburg-Vorpommern, als Privatperson.“ (Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern 2016, 46)

** So entstand der hier behandelte Landkreis Vorpommern-Greifswald 2011 durch Fusion aus den „Alt-Kreisen“ Ostvorpommern, Uecker-Randow, Teilen des Landkreises Demmin und der davor kreisfreien Stadt Greifswald. Ende 2015 lebten im Landkreis 238.358 Menschen (vgl. Statistisches Bundesamt 2017).

*** Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) 2017 liegt die Wirtschaftsleistung pro Einwohner bei nur 58% des deutschen Durchschnittswerts. Mit 12,4% war Anfang 2017 die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt (6,3%) und ebenfalls höher als der Wert für ganz Mecklenburg-Vorpommern (10,3%).

**** Dieser Grundriss muss an dieser Stelle genügen. Ein vertiefender Einblick in die komplexe Ursachensuche findet sich z.B. in Luzar/Borstel 2014.

Literatur


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