Wie die EU sich als Opfer von Geflüchteten framed

Wie die EU sich als Opfer von Geflüchteten framed

Die EU hat ein neues Wort erfunden: "Abschiebe-Patenschaft". Schauen wir mal in einer linguistischen Kurzanalyse, ob dieser Begriff wirklich in das Wörterbuch des Unmenschen gehört.

Zuerst die offizielle Definition, denn wir wollen der EU-Kommission nicht das Wort im Mund umdrehen. Vielmehr wollen wir sehr genau hinschauen, was sie sagt. Die EU-Kommission schreibt auf ihrer Webseite zum vorgestern veröffentlichten Neuen Migrations- und Asylpakt.

“Return sponsorship, whereby a Member State takes over responsibility for returning a person with no right to stay on behalf of another Member State” (1)

Der Begriff „Abschiebe-Partnerschaft“ ist, so scheint es, eine in den Medien verwendete Ad-Hoc-Übersetzung auf Basis des EU-Sprachgebrauchs „Return Sponsorship“. (u.a. Tagesschau uv.a.)
Wobei der erste Teil des Wortes unsauber übersetzt wurde. Das liegt jedoch nicht an der Übersetzung, sondern daran, dass der englische Begriff noch ein viel stärkerer Euphemismus ist als der Deutsche.
„Return“ übersetzt mit ‚Rückkehr‘. Der Begriff „Rückkehr“ mangelt jedoch die Asyl- und Abschiebeproblematik. ‚Rückkehren‘ assoziiert der gemeine Mensch weniger mit ‚Fluchten‘, sondern eher mit ‚Reisen‘. Das englische Wort für „Abschiebung“ lautet „deportation“. „Deportation Sponsorship“ klingt indes genauso absurd euphemistisch wie das deutsche „Abschiebe-Patenschaft“.
„Sponsorship“ übersetzt mit „Patenschaft“. Dieser zweite Teil des Wortes verdient unser Augenmerk, denn er verweist auf die Einstellung jener Unmenschen, die das Wort in Umlauf brachten:

Es gibt zwei Bedeutungsdimensionen. In der DDR hatten Schulklassen so genannte „Patenbrigaden“. Eine Patenschaft war eine „vertraglich festgelegte Mitverantwortung für etwas oder jemanden zum Zwecke der Unterstützung, Förderung.“ (2) Die ältere Verwendungsweise im Deutschen kommt aus dem religiösen Sprachgebrauch im Sinne einer „Mitverantwortung für die christliche Erziehung eines Kindes“ (3). Das sind zum Beispiel Taufpat*Innen oder auch der „Pater Spiritualis“ - der „geistige Vater“. Die gemeinsame Bedeutung dieser Verwendungsweisen lautet: ‚Förderung‘, ‚Unterstützung‘. Dabei schwingt eine weitere Bedeutung mit. Wer förderungswürdig ist, ist - im Gegensatz zum Paten - ‚schwächer‘, also angewiesen auf dessen Hilfe.

Zurück zur EU. Unstrittig ist, die abzuschiebenden Menschen werden hier weder geistig noch kulturell oder anderweitig unterstützt. Es geht um eine andere Patenschaft. Unterstützt und gefördert werden jene Länder, die die „Hauptlast“ der Migration zu tragen haben. Die Schwachen in dieser Patenschaft sind also EU-Staaten und weiterhin nicht die Opfer von Krieg und Gewalt. Vielmehr begreift sich die EU – nur so macht ihr Sprachgebrauch Sinn – als Opfer von
Geflüchteten.

Lest dazu auch den Artikel "Wie aus dem nüchternen Begriff "Pull-Faktor" ein Angstbegriff wurde".

1: https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/promoting-our-european-way-life/new-pact-migration-and-asylum_en (Abruf: 24.09.20, 09:00 Uhr)
2 & 3: https://www.dwds.de/wb/Patenschaft
Europäische Kommission – Vertretung in Deutschland


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